09.12.2016 ASTA hakt nach: Was ist eigentlich eine Freiwilligenagentur?

Die Sprechstunden des Zentrums für gute Taten, der Freiwilligenagentur Wuppertal, gehören mittlerweile zum festen Bestandteil der Angebote auf der AStA Ebene. In enger Abstimmung mit dem Sozialreferat kann so eine Beratung für Studierende angeboten werden, die sich ehrenamtlich engagieren wollen und noch nicht wissen, wo sie dies am besten tun können. Doch wie läuft diese Beratung ab und warum kann es wertvoll sein, sich in einem Gespräch über die Möglichkeiten des für Wuppertal wichtigen Ehrenamts zu informieren?

Diese und weitere Fragen hat das Sozialreferat der Uni der Geschäftsführerin des „Zentrums für gute Taten e. V.“ – Angelika Leipnitz – sowie dem 1. Vorsitzenden des Vereins Ralf Keller, der die Beratung durchführt, gestellt.

„Was muss ich tun wenn ich mich engagieren will?“

Markus: Liebe Frau Leipnitz, lieber Ralf, stellt euch doch bitte kurz vor: Welche Tätigkeiten übt ihr innerhalb der Freiwilligenagentur Wuppertal aus und wie seid ihr dazu gekommen, hier mitzuarbeiten? Leipnitz: Ich bin Angelika Leipnitz, arbeite für die Stadtverwaltung Wuppertal und habe dort im Jahr 2006 die „Servicestelle Ehrenamt“ übernommen bzw. gegründet, da es so etwas vorher nicht in der Stadtverwaltung gab. Wir wollten das Thema Bürgerengagement und dessen Förderung vorantreiben. Das Ganze ist als eine „Ein-Frau-Show“ gestartet und schließlich recht groß geworden. Das Thema hat viele Facetten, sodass die Idee gemeinsam mit Bürgern eine Freiwilligenagentur aufzubauen aufkam.

Über ein Projekt, das wir betreuen, habe ich Ralf Keller kennengelernt.

Keller: Mein Name ist Ralf Keller, ich bin seit 10 Jahren in der nachberuflichen Phase. Hier in Wuppertal habe ich zunächst ein Projekt für arbeitssuchende Menschen über 50 aufgebaut. Über den Wettbewerb „Wir wuppen das“ der WSW –wo man sich mit Projekten, die das Bürgerengagement betreffen bewerben konnte – habe ich Angelika Leipnitz kennengelernt. Angelika und ich haben dann ihr Konzept einer Freiwilligenagentur gemeinsam eingebracht und hatten das fatale Pech, einen der ersten Preise zu gewinnen (Leipnitz lacht). Das Preisgeld über 10.000 € mussten wir dann innerhalb von 12 Monaten dementsprechend einsetzen. Damit sind wir die einzige unfreiwillige Freiwilligenagentur der Welt (lacht). Leipnitz: Dazu muss ich meinen Part als städtische Mitarbeiterin hier erklären: Unser ehemaliger Oberbürgermeister Peter Jung hat damals gesagt, dass das, was ich im Rathaus angefangen habe, nun auch nach außen weiterentwickelt werden soll. Die Stadt hat aber kein Geld, um eine Freiwilligenagentur aufzubauen. Jedoch konnte sie mich als eine Mitarbeiterin freistellen. Das heißt, ich arbeite anderthalb Tage in der Woche freigestellt von der Stadt Wuppertal hier im „Zentrum für gute Taten“ als Geschäftsführerin mit.

Markus: Was ist denn eure persönliche Motivation sich ehrenamtlich zu engagieren? Ralf, du hattest ja beispielsweise eine von dir angestoßene Initiative angeführt. Keller: Ich war von dem Thema selbst betroffen, als ich mit 53 Jahren arbeitslos geworden bin und diese Situation als nicht gerade prickelnd empfand. Daher habe ich dann nach Möglichkeiten gesucht wie man dass, was man nun mal an Ressourcen mit sich rumschleppt noch sinnbringend einbringen kann. Dadurch bin ich – eben durch den Kontakt zu Angelika und der Servicestelle Ehrenamt – ans bürgerschaftliche Engagement gekommen. Das fand ich sinnträchtig und zielführend und bin dann in ein anderes Projekt eingestiegen, das Angelika gerade aufgebaut hat: Das Patenprojekt Ausbildung. Ein Projekt, das sich an junge Menschen richtet, die Hilfe bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz benötigen. Zu fast 100% junge Menschen mit sogenannten Vermittlungshemmnissen. Die Arbeit mit jungen Menschen und das Heranführen an eine Ausbildung macht wahnsinnig viel Spaß und ist zudem eine Arbeit, die unglaublich hohes emotionales Feedback bringt. Und so bin ich dann zum Ehren-

amt gekommen. Das sich im Laufe der Zeit immer dann erweitert hat, wenn Angelika jemandensuchte, der irgendwas machen kann und so hat sie mir immer mehr Arbeit „angedreht“ und mein Engagement im Ehrenamt ist zwangsläufig gewachsen, was mich sehr erfüllt. Leipnitz: Ich bin von Jugend an ehrenamtlich engagiert: Seit dem 15. Lebensjahr bin ich bei der DLRG aktiv, habe eine Selbsthilfegruppe im Gesundheitsbereich aus eigener Betroffenheit mit aufgebaut, eine Wandergruppe geleitet usw. Also gehört ehrenamtliches Engagement einfach zu meinem Leben. Ich habe im Rathaus mitbekommen, dass viele Menschen orientierungslos zu diesem Thema durch die Gegend laufen. Häufig waren Menschen im Büro des OB oder in anderen behördlichen Stellen und haben gefragt: „Was muss ich tun, wenn ich mich engagieren will?“. Und so ist die Idee entstanden eine zentrale Anlaufstelle zu gründen.

Markus: Stellt denn die Situation in Wuppertal mit einer Freiwilligenagentur und einer städtischen Anlaufstelle einen Sonderfall dar? Keller: Eine Freiwilligenagentur ist keine Erfindung Wuppertals. Es gibt einen Landes- und Bundesverband. Allein in NRW gibt es um die 130 verschiedenen Freiwilligenagenturen. In Wuppertal gibt es zwei Sonderfälle: Zum einen sind fast alle Freiwilligenagenturen, die wir kennen an andere Einrichtungen angedockt, also an Diakonie, Caritas oder andere Träger. Oftmals auch direkt an die Kommune. Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir unabhängig und frei finanziert sind. Wir müssen dafür aber über die Akquise von Förderern, die das Projekt unterstützen, unsere Arbeit absichern. Das hat für uns aber den gravierenden Vorteil, dass wir vollkommen frei sind in unseren Entscheidungen und in dem, was wir machen und wie wir die Agentur leiten. Zum zweiten kommt hinzu, dass Wuppertal eine ausgesprochen bürgerengagement-freundliche Stadt ist, in der Ehrenamt immer schon einen hohen Stellenwert hat. Leipnitz: Wuppertal hat heute noch Bürgervereine, die teilweise mehr als 100 Jahre alt sind. Die Leute haben sich hier frühzeitig zusammengeschlossen um in ihrem Wohn- und Lebensumfeld etwas zu bewegen. Und es gibt heute noch über 30 dieser Bürgervereine, die sich stadtteilbezogen um ihre Viertel kümmern. Auch das soziale Engagement hat in Wuppertal eine zentrale Bedeutung: Zu Zeiten

der Industrialisierung haben sich Gattinnen großer Unternehmen – Wuppertal war mal die zweitreichste Stadt Deutschlands, das weiß heute keiner mehr – um die armen Kinder ihrer Arbeiter gekümmert. So ist die erste Armenküche Deutschlands entstanden. Ein Konzept, das auch über die Landesgrenzen hinaus weitergetragen worden ist und das sogenannte „Elberfelder System“ begründete.

Hieran sieht man die Tradition, die meiner Meinung nach heute in Wuppertal immer noch existiert und, dass ein grundlegender „Gut-Gedanke“ vorherrscht, man also etwas tun möchte für seine Mitmenschen und sein Umfeld.

Markus: Würde man also einem Trugschluss unterliegen, wenn man unterstellt, die Stadt versuche durch Ehrenamt finanzielle Lücken zu schließen? Leipnitz: Nein, da muss man sich nichts erfinden: Die öffentlichen Kassen sind leer und nicht für alles ist Geld da. Aber es ist nicht so, dass die Bürger Lückenbüßer sein sollen, sondern im Gegenteil: Die Stadt möchte mit der Einrichtung einer „Servicestelle Ehrenamt“ den Leuten helfen, die etwas tun wollen. Und das kann Ralf besser erklären: Warum tut man etwas ehrenamtlich? Eben nicht primär, um ein Problem zu lösen sondern um für sich selber etwas zu tun.

Keller: Ehrenamt ist keine Einbahnstraße. Ehrenamt ist immer verbunden mit Feedback. Es gibt da einen recht schlauen Mann, den Herrn von Kotzebue der gesagt hat: „Dankbare Menschen sind wie fruchtbare Felder; sie geben das Empfangene zehnfach zurück.“ Ich glaube daher, dass man die Frage anders angehen muss: Die Bürgerinnen und Bürger erwarten heute vom Ehrenamt interessante Aufgaben. Früher war man klassisch: Da hat man alten Menschen und bedürftigen Kindern geholfen, was auch richtig ist und heute immer noch passieren muss. Aber wir merken doch, dass der Anspruch der Menschen, die sich engagieren wollen, immer mehr steigt. Und zukünftig wird es nicht mehr die Auf –

gabe der Kommune sein, zu schauen wo kein Geld da ist um etwas zu tun. Die Kommune sollte das ganze umdrehen und sagen: Wo müssen wir ehrenamtliche Aufgaben zur Verfügung stellen, die die Bürger interessieren. Also der Umkehrschluss von dem was wir heute immer sagen: Arme Stadt, hat kein Geld, jetzt müssen die Bürger selber den Bürgersteig fegen. Das ist Unsinn. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Stadt wird zukünftig in der Pflicht sein, Aufgaben zu gestalten, die dem Bürger gefallen, die ihm Spaß machen, die der Bürger also machen möchte.

Markus: Lasst uns einen kleinen Sprung machen: Ihr bietet seit dem Sommersemester im monatlichen Abstand eine Sprechstunde bei uns im AStA der Uni an. Wie läuft dort ein Beratungsgespräch ab? Keller: Sehr niederschwellig! Wir sind in den Räumlichkeiten des AStAs mit einem mobilen Stand im

Großraumbüro und warten darauf, dass Studierende und manchmal auch Mitarbeiter der Uni kommen die sich freuen, sich den Weg nach Barmen sparen zu können und hier direkt eine Beratung zu erhalten. Der Zuspruch wächst kontinuierlich. Das hat sicherlich damit zu tun, dass in jeder Vita ein

bürgerschaftliches Engagement sich positiv liest. Meines Erachtens hat es aber noch viel mehr damit zu tun, dass die Bereitschaft sich zu engagieren bei den jungen Menschen deutlich wächst. Wir merken dies auch an der Qualität und dem Zulauf der Gespräche, die wir an der Uni führen. Natürlich könnten aus unserer Sicht immer noch doppelt und dreifach so viele Leute kommen. Wir lieben es

überrannt zu werden, soweit sind wir jedoch noch nicht. Wir sind aber zuversichtlich, dass sich das Angebot durch Kontinuität größerer Beliebtheit erfreuen wird.

Markus: Prüfungen, Seminare, Nebenjob: Wie bringt man da noch ein Ehrenamt unter? Ist auch dies ein Thema der Beratungsgespräche? Keller: Ich komme aus Wuppertal-Cronenberg, da gilt der alte Spruch „Lerne klagen ohne zu leiden“

(lacht). Es ist natürlich richtig, dass jeder oft etwas überlastet ist, aber die Erfahrung zeigt eigentlich das Gegenteil: Die jungen Leute kommen immer häufiger zu uns. Wir sind an der Uni, um diesen Trend zu unterstützen und ihm entgegenzukommen. Und dieser Trend beweist ja, dass es neben Nebenjob und Uni immer noch Freizeiten gibt, die junge Menschen mit interessanten und sinnvollen Aufgaben füllen wollen.

Leipnitz: Und wir erfahren auch hier in den Beratungen in Barmen von den Studenten, dass sie gerade aufgrund dieser Belastung durch den Lernprozess einen Ausgleich, etwas ganz anderes – Mensch zu Mensch – tun wollen. Ein gutes Beispiel ist Utopia-Stadt am Mirker Bahnhof, wo ganz viel entsteht und viele Studenten mitarbeiten. Irgendwo gibt es also noch Zeit. Keller: Ein gutes Beispiel in dem Zusammenhang kommt von einer jungen Studentin, die in die Bera-

tung kam und irgendwas gesucht hat. Sie hatte vorher überhaupt keine Idee in welche Richtung sie sich engagieren könnte. Am Ende ist rausgekommen, dass sie nun beim „Sauerländischen Gebirgsverein“ Wege markiert. Sie läuft dafür in einem festgelegten Distrikt durch die Wälder und achtet darauf, dass alles seine Richtigkeit hat. Begeistert ist sie deshalb, weil sie zwei Dinge tun kann: Sich an der frischen Luft bewegen und Wandern. Nachdem sie zu Beginn immer ihren Hund dabei hatte, begleitet sie nun ihr Freund und beide können dieses Ehrenamt nun als körperlichen Ausgleich nutzen um wieder fit zu werden für geistige Aufgaben. Zum Schluss betont Angelika Leipnitz, dass sich die Freiwilligenagentur als lernende Organisation versteht. Wenn ihr also Wünsche oder Anregungen gegenüber der Freiwilligenagentur habt, etwa wie Ehrenamt für euch noch attraktiver werden kann, teilt ihnen dies gerne persönlich während einer der Sprechstundentermine oder per Mail und Telefon mit.

Interview: Markus Wessels